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Selbstbestimmung beginnt bei den Arbeitsbedingungen

Sina Eggimann ist Gründungsmitglied und Revisorin von InVIEdual. Sie kandidiert bei den Wahlen für den Kantonsrat SG am 3. März 2024. Mit Sina hätten Menschen mit Behinderungen, die Assistent:innen anstellen, eine starke Stimme im St. Galler Kantonsparlament.

 

Am 10. Mai 2023 hat sich Sina schon mal kräftig für gute Arbeitsbedingungen im Bereich Assistenz geäussert. Hier ihre Rede:

 

Geschätzte Anwesende

 

Kennen Sie diese Situation? Sie sind beim Coiffeur. Er oder sie schneidet die Haare gut, keine Frage. Dann kommt das Frisieren und das geht so gar nicht so, wie Sie es gerne hätten.

 

Wenn Sie ein Mensch mit Behinderungen sind, der - wie ich - die Haare nicht selber waschen kann, dann ist das immer so. Nicht nur 1x alle paar Monate. Sie könne sich auch nicht rasch selber die Haare waschen, um es in Ordnung zu bringen.

 

Damit Sie wirklich selber bestimmen können, mit welcher Frisur Sie unterwegs sind, müssen Sie selber Arbeitgeber:in werden. Sie führen also ein KMU.

 

In meinem Fall sind dies acht Assistentinnen. Nur so habe ich eine umfassende Weisungsbefugnis. Nur so kann ich selber bestimmen, wer am Morgen mit mir im Bad ist. Bei einer institutionellen Lösung würden andere Personen entscheiden, wer wann zu mir kommt und welche Aufgaben diese Personen übernehmen. Und das ist nur ein ganz banales Beispiel von vielen für Selbstbestimmung im Alltag.

 

Ich kann also selber meine Assistent:innen einstellen. Alles gut?

 

Leider nein. Der von der IV finanzierte Stundenansatz, mit dem alle Kosten abgedeckt werden müssen, ist mit 34 Franken und 30 Rappen sehr tief. So bleibt mir nichts anders übrig, als für meine Mitarbeitenden entweder keine Krankentaggeldversicherung abzuschliessen oder ihnen einen sehr tiefen Stundenlohn auszuzahlen. Natürlich ist unter diesen Umständen auch die Altersvorsorge mangelhaft. Mir fehlt auch das Budget, um beispielsweise einen Kurs zu finanzieren, in dem meine Assistentinnen rückenschonendes Arbeiten lernen.


Die Rahmenbedingungen der IV zwingen mich also dazu, eine schlechte Arbeitgeberin zu sein. Dies erschwert mir die Suche nach persönlichen Assisten:innen enorm. Kein Wunder also, dass dies weniger als 10% der Personen nutzen, welche die formalen Anforderungen der IV erfüllen.

 

Ich habe eingangs erwähnt, dass ich selber bestimmen kann, wer am Morgen mit mir im Bad ist. Nun ja, so ganz stimmt das nicht. Meinen Freund oder meine Eltern darf ich nicht als persönliche Assistenten einstellen. Und dies obwohl es ein Kostendach gibt. Das heisst, auch wenn ich meinen Freund oder meine Eltern einstellen könnte, wäre es aufgrund der knappen Stunden unmöglich, damit mehr abzurechnen als sie leisten.

 

Es braucht also die Erfahrung aus der Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen in der Politik. Nur so ist es möglich, dass wir der Forderung der UNO-Behindertenrechtskonvention nachkommen und auch in der Schweiz nicht mehr über uns ohne uns bestimmt wird. Ich bringe diese Erfahrung mit, denn ich lebe mit einer Muskelerkrankung, bin Arbeitgeberin persönlicher Assistenz und engagiere mich seit ein paar Jahren auch politisch. Darum kandidiere ich dieses Jahr für den Nationalrat. Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Rede von Sina Eggimann, Nationalratskandidatin SP Kanton St. Gallen und Vize-Präsidentin Schweizerische Muskelgesellschaft, am 10. Mai 2023 auf dem Bundesplatz am Anlass von Pro Infirmis


eine Person mit einem Zettel in der Hand im Handrollstuhl vor einem Mikrofon auf einer Bühne
Sina Eggimann während ihrer Rede auf dem Bundesplatz

(c) Foto: Pro Infirmis

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